Old Trip
Old Trip: mit dem Oldtimer verreisen – Was kommt euch da zuerst in den Sinn?
„Was ’ne grandiose Idee“ oder „Das kann in die Hose gehen“?
Freunde und Freundinnen der Sonne, wir haben den Selbstversuch gewagt und die Tatsache, dass ihr diese Zeilen lesen könnt, ist der schriftliche Beweis dafür, dass wir die Reise im Juli 2021 von Hessen nach Südtirol zumindest überlebt haben.
Dass wir es auch zurück in die hessische Heimat geschafft haben, bedeutet es dagegen nicht zwangsläufig – dank mobilem Arbeitsplatz und 5G über Musks Starlink-Perlenkette am Firmament, ist das Arbeiten ja mittlerweile auch Remote en vogue. Wo seid ihr gerade? Na hier: hoch.zufrieden.letzte
Aber wir schweifen ab, bevor es richtig losgeht. Deshalb: Auf die Plätze! Fertig! Moos!
Ja, denn ohne Moos ist nix los:
Mit dem Oldtimer auf einen Road Trip zu gehen, kann signifikant teurer ausfallen, als mit den allseits beliebten sparsamen, komfortablen, starken und sicheren SUV, die mittlerweile so oft in Garage oder Einfahrt (gut!) oder an der Straße (tststs…) rumstehen.
Folgende Kostentreiber beim Oldie gilt es zu beachten:
- Möglicherweise hoher Spritverbrauch
- Dringend angeratene Mitgliedschaft im Autoclub mit Mobilitätsgarantie
- Höherer Wartungsaufwand im Vorfeld (Bremsen (!), Luftdruck, Ölstand, Zustand der Keil- und Zahnriemen, Zündkerzen) mit eventuell teuren und/oder seltenen Ersatzteilen
- Präzise Vorbereitung für die große Fahrt über Land: möglicherweise gar ein Zwischenstop inklusive Übernachtung, wo man mit dem neuen luftgefederten GLC auf Massagesitzen und bestens klimazonentemperiert, einfach durchgebraust wäre…
- Ein Tipp zur winterlichen Routenplanung mit Google Maps: die Alpenpässe sind dann oft gesperrt und man kann sie nicht mit in die Route einplanen.
Deshalb besser vor- oder nach der Wintersaison die Fahrtstrecke taxieren oder einfach einen anderen Routenfinder wie Here we go oder den Falk Routenplaner nutzen - Nicht oldtimerspezifisch, aber dennoch äußerst wichtig: die Erste-Hilfe-Ausrüstung muss komplett und noch haltbar sein, am besten so viele Rettungswesten vorhalten, wie der Wagen Sitzplätze hat
Das alles will einkalkuliert und geplant werden, soll am Ende aus dem Hirngespinst – inspiriert von fiebrigen Lektüren einschlägiger Hochglanz-Oldtimermagazine, voll mit mondänen Alpenüberquerungen im glänzenden 60er-Jahre Cabrio bei selbstverständlich bestem Kaiserwetter – eine erfolgreiche und keine folgenreiche Reise werden.
Ist das Auto dann aber gut vorbereitet und handelt es sich beispielsweise um einen für seine stoische Zuverlässigkeit und Problemlosigkeit bekannten Japaner, wie meinen 1987er Nissan Bluebird 2.0 SLX, dann steht der Abenteuerfahrt gen Süden eigentlich nichts mehr im Wege.
Wichtig: das Bluetooth-Radio (Ja, ein Sakrileg im Oldtimer, aber es gibt ja auch moderne Radios im Retro-Look) und die passende Spotify-Liste dürfen selbstverständlich auch nicht fehlen.
Falls ihr Inspiration braucht, bedient euch gerne von meiner Road Trip-Liste „Electric Love„:
Ein H-Kennzeichen stellt übrigens kein Hindernis für eine Auslandsreise dar, das Oldtimer-Schild wird überall als offizielles deutsches Kennzeichen anerkannt.
Ein rotes 07-er Schild ist dagegen im Ausland nicht gültig. Gerade Carabinieri reagieren auf das kleine Rote sehr unwirsch und lassen nicht mit sich spaßen.
Ebenfalls wichtig: auch der D-Aufkleber ist in den Nicht-EU-Ländern immer noch Pflicht, ein Verstoß kann teuer werden.
Die Spritqualitäten sind im näheren Ausland dagegen durchweg gut, das für Oldtimer kritische Super-E10 gibt es allerdings in immer mehr europäischen Ländern, daher ist stets ein wachsames Auge beim Griff zur Zapfsäule geboten.
Zum Sprit addieren sich dann gegebenenfalls noch Kosten für die Fahrt über den Pass (oft handelt es sich hierbei um eine Privatstraße) und die mautpflichtigen Autobahnen in Italien oder Österreich.
Die vorhandene Motorleistung an sich ist für eine Alpenüberquerung beinahe irrelevant, schließlich haben es einst schon unsere Vorfahren zu viert im vollgepackten 30 PS-Käfer über diese Pässe geschafft.
Von Hannibal und seinen Elefanten mal ganz zu Schweigen. Töröö.
Aber wenn der moderne 500Nm TDI-Kombi dann doch permanent frech von hinten drückt, sind die eigenen 105 PS/160Nm auf 1,2 Tonnen (plus Zuladung) schnell mal zu wenig, mitgebrachte Coolness hin oder her.
Da hilft nur eines: Bei nächstbester Gelegenheit parken und gänzlich unbeteiligt so tun, als hätte man ja ausschließlich nur für die schönen Bilder angehalten. Wir haben nur Platz gemacht? Also ich bitte Sie.
Man ahnt es sicher, aber mindestens so wichtig wie die Motorleistung ist die Bremsleistung. Gerade bei Oldtimern gibt es oftmals Bremsanlagen, die das Wort „Verzögern“ mit vielen, vielen ö buchstabieren.
Bei Passabfahrten ist es deshalb umso wichtiger, möglichst oft mit der Motorbremse zu verzögern.
Das mag in der Realität grausam klingen (es sei denn, man fährt keine Vierzylinder-Rumpelkiste wie ich, sondern hat einen netten Reihensechser, V6, V8 gar V12 unter der Haube), aber die Bremsen danken es einem mit Standfestigkeit, wenn es dann wirklich einmal darauf ankommt.
Ein weiterer Tipp für alle Passabfahrer: Der Pilot möge seine Augen bitte stets auf die Fahrbahn richten, Sightseeing bei der Fahrt ist den Passagieren zu überlassen.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass auch in den Alpen plötzlich Kurven aus dem Nichts auftauchen können…Potzblitz! Zum Glück hatte ich ja vorher die Bremse mit dem Motor geschont.
Das war nun viel statischer Text, einige wenige Bilder und für das moderne sensationshungrige Gehirn wohl zu wenig Action. Kein Problem: hier unsere Reise von Messel nach Meran im Schnelldurchlauf:
Probiert es selbst, denn so ein Oldtimer erfährt von vielem mehr:
Mehr Zuneigung der anderen Verkehrsteilnehmer, mehr Eindrücke der Außenwelt, da man langsamer unterwegs und nicht so abgekapselt ist und mehr Dankbarkeit seiner Besitzer, dass er durchgehalten hat.
Es ist schlicht und einfach eine Zeitreise.
Text und Bilder:
P.S. Ihr habt gerade Teil 1 unserer Reihe „Fernweh-Februar“ gelesen, freut euch in Kürze auf Teil 2 von Andy Kmoch.